Ein zweites Thema der Periode "Wien-Galizien" war die Jugendkultur,
inspiriert von der deutschen Jugendbewegung "Wandervogel". Es ist kein Wunder,
da? gerade diese Bewegung bei den Shomerim Anklang fand. Sie rebellierte gegen
elterliche Autorit?t und war sozialistisch ausgerichtet. Der "Wandervogel" trat
f?r eine h?here Moral ein, bek?mpfte die "bourgeoise Moral" und lehnte
Militarismus und Antisemitismus ab.
Der achtzehnj?hrige David Horowitz erkl?rte in einem Artikel im "HaShomer"
die Prinzipien Gustav Wyneckens und die ewige G?ltigkeit der Jugendkultur. Die
Jugend, schrieb Horowitz, sei keine vor?bergehende psychologische Phase, sondern
in sich selbst ein ewiger Wert. Der Jugendliche sei keine nicht-erwachsene oder
unvollst?ndige Person, sondern besitet seine eigenen moralischen Werte. Jugend
sei ein kompromi?loses Streben nach absoluter Moral. Daher sei die Jugend
aufgerufen, eine eigene Kultur zu schaffen, im Rahmen eigener Jugendgemeinden,
ohne Zwang oder Diktate Erwachsener. Die Jugend m?sse zu eigenen Gedanken und zu
eigener Kreativit?t ermutigt werden.
Daher kommt die Kritik am deutschen Schulsystem jener Zeit, an der
unterdr?ckenden Disziplin und dem mechanischen Lernen. Horowitz lehnt den
Materialismus der Erwachsenengesellschaft ab, ihre Heuchelei, ihr Philistertum
und die bourgeoise Verdrehung der Werte. In seiner Schlu?folgerung forderte
Horowitz f?r die Jugend des Shomer eine Synthese aus j?discher Kultur und den
grundlegenden Werten der deutschen Jugendbewegung Wyneckenscher Pr?gung.
Viele Ideen Wyneckens wurden vom Shomer nicht ?bernommen. Seine Jugend
wollte aus keinem unterdr?ckenden Schulsystem oder einer j?dischen Gesellschaft
fliehen. Selbst die j?dische Selbst-Negation oder die Identifikation mit den
"alten Hebr?ern" konnten das fundamentale kollektive Schicksal der j?dischen
Familie und Gesellschaft nicht ?berdecken. Die Revolte gegen die "Defekte" der
j?dischen Jugend stellte sich nicht gegen das j?dische Kollektiv. Im "Hamadrich"
wird der patriarchischen j?dischen Familie Bewunderung gezollt. Vom Shomer wird
verlangt, da? er seine Eltern und religi?sen F?hrer ehrt und ein guter Sch?ler
ist.
Da? dennoch Teile von Wyneckens Prinzipien ?bernommen wurden, ist dem
Freiheits- und Unabh?ngigkeitsgef?hl jener Jugend zu verdanken. Die Entt?uschung
?ber den Zusammenbruch der j?dischen Gesellschaft durch den Krieg und der Bedarf
nach einer Erneuerung der Werte lie? den Shomer nichtj?dische Ideen aus
j?dischen Gr?nden akzeptieren. HaShomer HaZair schuf eine Art von Radikalismus
oder verinnerlichten Aktivismus, der auf die Reform des Menschen durch
Selbsterziehung in einer Jugendgemeinde abzielte, die zwar separiert war, aber
nicht g?nzlich getrennt von den nationalen N?ten und Leiden der j?dischen
Gesellschaft.