Theodor Herzl (1860-1904)
"Wenn ihr wollt, ist es kein Maerchen"
"Ist das, was ich sage, heute noch nicht richtig? Bin ich meiner Zeit voraus?
Sind die Leiden der Juden noch nicht gross
genug?
Wir werden sehen.
Es haengt also von den Juden selbst ab, ob diese Staatsschrift vorlaeufig
nur ein Staatsroman ist. Wenn die jetzige
Generation noch zu dumpf ist, wird eine andere,
hoehere, bessere kommen. Die Juden, die wollen,
werden ihren Staat haben und sie werden ihn
verdienen."
(Theodor Herzl in seiner Vorrede zum "Judenstaat")
"Er hatte mit dichterischen Versuchen begonnen, frueh eine blendende
journalistische Begabung gezeigt und war zuerst als Pariser Korrespondent, dann
als Feuilletonist der 'Neuen Freien Presse' der Liebling des Wiener Publikums
geworden. Seine Aufsaetze, heute noch bezaubernd durch ihren Reichtum an
scharfen und oft weisen Beobachtungen, ihre stilistische Anmut, ihren edlen
Charme, der selbst im Heiteren wie im Kritischen nie die eingeborene Noblesse
verlor, waren das Kultivierteste, was man sich im journalistischen erdenken
konnte, und das Entzuecken einer Stadt, die fuer Subtiles den Sinn sich geschult
hatte. Auch im Burgtheater hatte er mit einem seiner Stuecke Erfolg gehabt, und
nun war er ein angesehener Mann, vergoettert von der Jugend, geachtet von
unseren Vaetern, bis eines Tages das Unerwartete geschah. Das Schicksal weiss
immer sich einen Weg zu finden, um den Menschen, den es braucht fuer seine
geheimen Zwecke, heranzuholen, auch wenn er sich verbergen will.
Theodor Herzl hatte in Paris ein Erlebnis gehabt, das ihm die Seele
erschuetterte, eine jener Stunden, die eine ganze Existenz veraendern; er hatte
als Korrespondent der oeffentlichen Degradierung Alfred Dreyfus' beigewohnt,
hatte gesehen, wie man dem bleichen Mann die Epauletten abriss, waehrend er laut
ausrief: 'Ich bin unschuldig.' Und er hatte bis ins innerste Herz gewusst in
dieser Sekunde, dass Dreyfus unschuldig war und dass er diesen grauenhaften
Verdacht des Verrats einzig auf sich geladen hatte dadurch, dass er Jude war.
Nun hatte Theodor Herzl in seinem aufrechten maennlichen Stolz schon als Student
unter dem juedischen Schicksal gelitten - vielmehr, er hatte es in seiner ganzen
Tragik schon vorausgelitten zu einer Zeit, da es kaum ein ernstliches Schicksal
zu sein schien, dank seines prophetischen Instinkts der Ahnung. ... Jetzt aber
in der Stunde der Degradierung Dreyfus' fuhr der Gedanke der ewigen Aechtung
seines Volkes wie ein Dolch ihm in die Brust. Wenn Absonderung unvermeidlich
ist, sagte er sich, dann eine vollkommene! Wenn Erniedrigung unser Schicksal
immer wieder wird, dann ihm begegnen durch Stolz. Wenn wir leiden an unserer
Heimatlosigkeit, dann eine Heimat uns selbst aufbauen! So veroeffentlichte er
seine Broschuere 'Der Judenstaat', in der er proklamierte, alle assimilatorische
Angleichung, alle Hoffnung auf totale Toleranz sei fuer das juedische Volk
unmoeglich. Es muesse eine neue, eine eigene Heimat gruenden in seiner alten
Heimat Palaestina.
...Im ersten Augenblick konnte sich Herzl missverstanden fuehlen; Wien, wo er
sich durch seine jahrelange Beliebtheit am sichersten vermeinte, verliess und
verlachte ihn sogar. Aber dann droehnte Antwort mit solcher Wucht und Ekstase so
ploetzlich zurueck, dass er beinahe erschrak, eine wie maechtige, ihn weit
ueberwachsende Bewegung er mit seinen paar Dutzend Seiten in die Welt gerufen.
Sie kam freilich nicht von den behaglich lebenden, wohlsituierten buergerlichen
Juden des Westens, sondern von den riesigen Massen des Ostens, von dem
galizischen, dem polnischen, dem russischen Ghettoproletariat. Ohne es zu ahnen,
hatte Herzl mit seiner Broschuere den unter der Asche der Fremde gluehenden Kern
des Judentums zum Aufflammen gebracht, den tausendjaehrigen messianischen Traum
der in den heiligen Buechern bekraeftigten Verheissung der Rueckkehr ins Gelobte
Land - diese Hoffnung und zugleich religioese Gewissheit, welche einzig jenen
getretenen und geknechteten Millionen das Leben noch sinnvoll machte. ... Mit
ein paar Dutzend Seiten hatte ein einzelner Mann eine verstreute, verzwistete
Masse zur Einheit geformt.
... Die Krankheit, die ihn damals zu beugen begann, hatte ihn ploetzlich
gefaellt, und nur zum Friedhof konnte ich ihn begleiten. Ein sonderbarer Tag war
es, ein Tag im Juli, unvergesslich jedem, der ihn miterlebte. Denn ploetzlich
kamen auf allen Bahnhoefen der Stadt, mit jedem Zug, bei Tag und Nacht, aus
allen Reichen und Laendern, Menschen gefahren, westliche, oestliche, russische,
tuerkische Juden, aus allen Provinzen und kleinen Staedten stuermten sie
ploetzlich herbei, den Schreck der Nachricht noch im Gesicht; niemals spuerte
man deutlicher, was frueher das Gestreite und Gerede unsichtbar gemacht, dass es
der Fuehrer einer grossen Bewegung war, der hier zu Grabe getragen wurde. Es war
ein endloser Zug. Mit einemmal merkte Wien, dass hier nicht nur ein
Schriftsteller oder mittlerer Dichter gestorben war, sondern einer jener
Gestalter von Ideen, wie sie in einem Land, in einem Volk nur in ungeheuren
Intervallen sich sieghaft erheben. Am Friedhof entstand ein Tumult; zu viele
stroemten ploetzlich zu seinem Sarg, weinend, heulend, schreiend in einer wild
explodierenden Verzweiflung, es wurde ein Toben, ein Wueten fast; alle Ordnung
war zerbrochen durch eine Art elementarer und ekstatischer Trauer, wie ich sie
niemals vordem und nachher bei einem Begraebnis gesehen. Und an diesem
ungeheuren, aus der Tiefe eines ganzen Millionenvolkes stosshaft aufstuermenden
Schmerz konnte ich zum erstenmal ermessen, wieviel Leidenschaft und Hoffnung
dieser einzelne und einsame Mensch durch die Gewalt seines Gedankens in die Welt
geworfen."
(Der Beitrag ueber Theodor Herzl wurde Stefan Zweigs "Die Welt von Gestern.
Erinnerungen eines Europaeers" entnommen. Es gibt keine schoenere und
liebevollere Beschreibung. Dieses letzte Buch Stefan Zweigs erschien 1944 im
Berman Fischer Verlag in Stockholm.)
1949 wurden Theodor Herzls sterbliche Ueberreste, wie er es in seinem
Testament gewuenscht hatte, in "seinen" Staat Israel ueberfuehrt und in
Jerusalem beerdigt. Sein Grab befindet sich auf dem nach ihm benannten
Herzlberg, neben den letzten Ruhestaetten israelischer Politiker und dem
Militaerfriedhof.
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Bearbeitung: Dr. Chani Hinker
Updated: 11/12/00