Marc Chagall (1887-1985)
Was ist ein juedischer Kuenstler?
Waere ich kein Jude (mit allem, was dieses Wort fuer mich beinhaltet), ich
waere ueberhaupt kein Kuenstler oder aber ein ganz anderer Mensch.
Das ist keineswegs etwas Neues.
Was mich betrifft, so weiss ich ziemlich gut, zu welchen Leistungen dieses
kleine Volk faehig ist.
Leider bin ich bescheiden und kann nicht aufzaehlen, was es alles zu leisten
vermag.
Etwas Beschwoerendes - das ist es, was dieses kleine Volk vollbracht hat!
Als es wollte, hat es Christus und das Christentum hervorgebracht. Als es
sich anstrengte, gebar es Marx und den Sozialismus.
Ist es nicht denkbar, dass es der Welt auch eine Kunst, irgendeine Kunst
gegeben hat?
Schlagt mich tot, wenn das nicht stimmt.
Marc Chagall wurde in Witebsk, Weissrussland, als Kind einer armen
chassidischen Familie geboren. Er war das aelteste von neun Kindern, lernte
zuerst im Cheder, bevor er in eine russische Schule wechselte, wo er erstmals
sein kuenstlerisches Talent unter Beweis stellte. Mit der Unterstuetzung der
Mutter und gegen den Willen des Vaters verfolgte Chagall sein kuenstlerisches
Interesse. Er ging 1907 nach St. Petersburg, um mit Leon Bakst Kunst zu
studieren. Beeinflusst durch die zeitgenoessische russische Malerei, begann
Chagalls besonderer, „kindlicher" Stil, der oft Bilder aus seiner Kindheit in
den Mittelpunkt stellt, hervorzutreten.
1910 bis 1914 lebte Chagall in Paris und nahm dort die Werke der fuehrenden
Kubisten, Surrealisten und Fauvisten in sich auf. In dieser Zeit malte Chagall
einiger seiner beruehmtesten Bilder des juedischen Schtetls oder Dorfes und
entwickelte die Charakteristiken, die die Markenzeichen seiner Kunst werden
sollten. Starke und leuchtende Farben portraitieren die Welt mit traumhafter,
unrealistischer Einfachheit. Die Verbindung von Phantasie, Religion und
Nostalgie erfuellt sein Werk mit Froehlichkeit. Tiere, Arbeiter, Liebende und
Musikanten sind seine bevorzugten Figuren. Der „Fiedler auf dem Dach" kehrt
immer wieder und schwebt ueber einer Szene.
Chagalls Werke aus dieser Zeit spiegeln den Einfluss der zeitgenoessischen
franzoesischen Malerei wieder, aber sein Stil bleibt von jeglicher Schule
unabhaengig.
1914 erhielt Chagall seine erste Einzelausstellung in Berlin, in der Galerie
von Oskar Kokoschkas Zeitschrift "Der Sturm". Chagall beeindruckte die deutschen
Expressionisten.
1914, vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, stellte Chagall in Berlin aus
und zeigte Bilder, die von juedischen Symbolen und Figuren dominiert werden.
Waehrend des Krieges lebte er in Russland. 1917, im Zug der Revolution,
wurde er zum Kommissar fuer Bildende Kunst in Witebsk ernannt und danach zum
Direktor der neuen Freien Kunstakademie. Chagall produzierte Ausstattung und
Kostueme fuer das Moskauer juedische Theater, vor allem fuer Stuecke des
jiddischen Dichters Scholem Aleichem. Die bolschewikischen Behoerden
missbilligten jedoch Chagalls zu modernen Stil, und 1922 verliess er Russland,
ging zuerst nach Berlin, wo er entdeckte, das eine Reihe von Bildern, die er
1914 zurueckgelassen hatte, verschwunden waren. Ein Jahr spaeter liess er sich
in Frankreich nieder. Hier lebte er dauernd, mit Ausnahme der Jahre 1941 bis
1948, als der vor dem Zweiten Weltkrieg in die Vereinigten Staaten fluechtete.
Chagall drueckt sein Entsetzen ueber den Aufstieg des Nationalsozialismus
durch die Darstellung juedischen Martyriums und juedischer Fluechtlinge aus. Am
maechtigsten sind seine Visionen in der "Weissen Kreuzigung" ausgedrueckt.
57 seiner Werke wurden in Deutschland aus verschiedenen Sammlungen
konfisziert, einige von ihnen wurden 1937 in der Ausstellung ueber "Entartete
Kunst" in Muenchen ausgestellt.
1945 entwarf Chagall die Kostueme und das Buehnenbild fuer Igor Strawinskys
Ballett "Feuervogel". Die amerikanische Kusntkritik, die seinem Werk nicht immer
zugetan gewesen war, bekam Gelegenheit, in einer grossen Ausstellung im Museum
of Modern Art ihre Meinung zu revidieren.
Zwischen 1953 und 1958 entstand eine Anzahl von Bildern ueber Paris, Chagall
vergass aber Russland und Witebsk nicht:
"Ich, der ich kurz zuvor aus Paris zurueckgekehrt war, laechelte in
meinem Inneren. Dann war ich mit etwas ganz anderem beschaeftigt. Einerseits die
neue Welt, Juden, die engen Strassen meiner Heimatstadt, gebueckte,
heringgleiche Bewohner, gruene Juden, Onkel, Tanten mit ihren Fragen: Du bist,
Gott sei Dank, erwachsen geworden.
Und ich habe sie immer wieder gemalt..."
Chagall benutzte verschiedene Techniken: Oel, Wasserfarben, Gouache. In
seinen Berliner Jahren hatte Chagall graphische Techniken erlernt. Der Pariser
Kunsthaendler Ambroise Vollard bestellte die Illustrationen zu Gogols "Tote
Seelen". Dies war der Beginn der druckgraphischen Karriere Chagalls. Er
illustrierte La Fontaines Fabeln, die Bibel, J. L. Peretz, seine Autobiographie
„Ma Vie" - „Mein Leben" und „Chagall von Chagall".
Er versuchte auch Arbeiten mit anderen Materialien wie Keramik, Mosaik und
Glas. Nach 1958 entwarf Chagall Glasfenster, zuerst fuer die Kathedrale von Metz
und danach fuer die Synagoge des Medizinischen Zentrums Hadassah in Ein Kerem
bei Jerusalem.
In der Hadassah Klinik stellte Chagall 1961 die zwoelf Staemme Israels dar.
Unser Beispiel ist das Fenster fuer den Stamm Dan. Chagall bezieht sich auf den
Text der Bibel:
"Dan schafft seinem Volke Recht wie irgendeiner der Staemme Israel."
Fuer die Knesset in Jerusalem schuf Marc Chagall die Entwuerfe fuer drei
grosse Tapisserien, sowie Boden- und Wandmosaike, die sich in der Halle fuer
Staatsempfaenge befinden.
Zu anderen beruehmten Werken, mit denen Chagall Architektur gestaltete,
gehoeren die Decke der Pariser Oper, Wandbilder in der New Yorker Metropolitan
Oper, ein Glasfenster im Gebaeude der Vereinten Nationen und Dekorationen im
Vatikan.
1973 erhielt Marc Chagall in Nizza ein eigenes Museum, und 1977 ehrte ihn
Frankreich mit einer Ausstellung im Louvre.
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Bearbeitung: Dr. Chani Hinker
Updated: 11/12/00