Leon (Jehuda Leib) Pinsker (1821-1891)
Zionistischer Pionier
Leben
Leon Pinsker wurde in Polen geboren und erhielt seine erste Ausbildung in der
vaeterlichen Jeschiwa in Odessa. Als einer der ersten Juden, der an der
Universitaet Odessa studierte, wollte er Rechtsanwalt werden. Bald erkannte er,
dass ihm als Juden eine Karriere als Jurist verwehrt bleiben wuerde, und er
entschloss sich zum Medizinstudium an der Universitaet Moskau. 1849 kehrte er
als Arzt nach Odessa zurueck.
Pinsker gehoerte zu den Gruendern einer russisch-sprachigen Wochenzeitung,
die die Juden dazu ermutigte, Russisch zu sprechen. Er schrieb auch Beitraege
fuer eine andere Zeitung und riet den Juden, sich zu assimilieren. Als 1871 in
Odessa Pogrome ausbrachen, waren die gebildeten Juden verunsichert. Die
Assimilationsbestrebungen hoerten auf, Pinsker kehrte zur Medizin zurueck und
wurde bald in der Oeffentlichkeit wohl bekannt. Nach einigen Jahren wurden diese
Aktivitaeten wieder aufgenommen. Als es 1881 in Suedrussland abermals zu
Pogromen kam, beendete er seine Taetigkeit abermals.
Der von der Regierung unterstuetzte Antisemitismus veranlasste Pinsker, sich
der Situation zu stellen. Er betrachtete die Aufklaerung und die Haskala -
Bewegung als nicht laenger adaequat fuer die russischen Juden, und glaubte nicht
mehr daran, dass Humanismus ein Mittel sei, dem Judenhass zu begegnen.
Auf einer Europareise, die Pinsker 1882 unternahm, konnte er in verschiedenen
Hauptstaedten die Notwendigkeit der Auswanderung russischer Juden diskutieren.
Als Konsequenz dieser Reise schrieb Pinsker sein Buch „Autoemanzipation", eine
Ursachenanalyse des Antisemitismus und ein Aufruf, eine juedische Heimstaette
entweder in Palaestina oder auch woanders zu etablieren. „Autoemanzipation" rief
bei den Juden ein starkes Echo hervor. Pinsker wurde Vorsitzender der Chovevei
Zion Bewegung. Obwohl es innerhalb der Bewegung zu Parteikaempfen kam, blieb
Pinsker durch die Unterstuetzung Baron Edmond de Rothschilds weiterhin im Dienst
der Organisation.
Pessimus und offizielle Ablehnung der juedischen Einwanderung kennzeichneten
seine letzten Tage. Pinsker starb 1891. 1934 wurden seine sterblichen Ueberreste
auf dem Skopusberg in Jerusalem bestattet.
Werk
Offiziell gefoerderter Antisemitismus und Pogrome verwandelten den
assimilierten und aufgeklaerten Leon Pinsker in einen Zionisten. Nach dem Pogrom
von 1871 wartete er einige Jahre, bis er nochmals zu seiner urspruenglichen
Ueberzeugung zurueckkehrte; der Pogrom von 1881 fuehrte zu einem vollstaendigen
Gesinnungswandel.
Als er 1882 Europa bereiste, stand er schon unter dem Einfluss Moses
Lilienblums und der Chibbat Zion Bewegung. In Wien, Berlin, Paris und London
fuehrte er Gespraeche, um die Haltung der jeweiligen juedischen Fuehrung
kennenzulernen. Das Konzept, die Emigration russischer Juden in ein bestimmtes
Land zu leiten, wurde in Wien und Paris zurueckgewiesen, wo die Juden - wenn es
schon sein musste - die Auswanderung in die Vereinigten Staaten bevorzugten. In
London stimmte nur ein Mitglied der jue dischen Fuehrung, das auch ein
Parlamentsabgeordneter war, Pinskers Ansicht zu, dass die Judenfrage
internationale Aufmerksamkeit erhalten muesse.
Nach dieser Reise veroeffentlichte Pinsker „Autoemanzipation" - zwar anonym,
aber die Haltung des Autors war eindeutig. Da sich die Juden in keinem Land
assimilieren koennen, muessen sie ihr eigenes Heimatland etablieren, wo sie in
der Lage sein werden, wie andere Nationen zu leben. Pinsker verwarf sowohl die
Ansicht der westeuropaeischen Juden, die Diaspora sei vorzuziehen, als auch die
religioese Annaeherung, die fuer ein Leiden in Stille bis zur Ankunft des
Messias plaedierte.
Pinsker war bereit, die letzte Entscheidung ueber die geographische Lage
eines Heimatlandes, einem nationalen Kongress zu ueberlassen. Pinsker ahnte
voraus, dass der weltweite Prozess des nationalen Erwachens auch fuer das
juedische Volk von Vorteil sein werde. Er hoffte, die westlichen Juden wuerden
ihren Glaubensbruedern bei der Gruendung des Heimatlandes behilflich sein.
Die Chovevei Zion Mitglieder begruessten das Buch enthusiastisch. Sie
draengten Pinsker, die Entscheidung der
westlichen Juden nicht abzuwarten, sondern sich
sofort fuer eine Heimat in Eretz Israel ans Werk
zu machen. Diskussionen mit Fuehrern der
Bewegung wie Moses Lilienblum, Hermann Schapira
und Max Mandelstamm, ueberzeugten ihn. Er war
massgeblich an der Gruendung der Chovevei Zion
Gruppe von Odessa beteiligt, die mit anderen
Gruppen in Kontakt war. Pinsker war der
Vorsitzende ihrer Gruendungskonferenz im
November 1884 in Kattowitz. Hier betonte er die
Notwendigkeit der juedischen Rueckkehr zur
Bearbeitung des Landes, vermied aber
Diskussionen ueber Staatsbuergerschaft oder
Unabhaengigkeit, um die westeuropaeischen Juden
nicht zu befremden.
Versuche, Chovevei Zion ausserhalb Russlands zu etablieren, scheiterten, und
Odessa blieb das Zentrum der Bewegung. Pinsker, der aus gesundheitlichen
Gruenden zuruecktreten wollte, bat Lilienblum, das Amt zu uebernehmen.
Meinungsverschiedenheiten zwischen religioesen Parteien und den Maskilim zwangen
Pinsker jedoch, zu bleiben. Die Orthodoxie bereitete ihm auch weiterhin
Probleme, und 1889 blieb er dem Kongress in Wilna fern, damit man ihn nicht
ueberreden konnte, sein Amt nicht zur Verfuegung zu stellen. Der Kongress
waehlte Abraham Guenberg, Samuel Mohilever und Samuel Fuenn zu Vorsitzenden. Das
Zentrum der Bewegung blieb in Odessa.
1890 wurde Chovevei Zion in Odessa legalisiert und in Russland wiederbelebt,
als Juden begannen, sich in Eretz Israel niederzulassen. Die Situation fuer die
Juden in Russland wurde immer schlimmer. 1891 wurden sie aus Moskau ausgewiesen.
Pinsker begann zu glauben, dass seine Vision Wirklichkeit werden wuerde, aber
die ottomanischen Behoerden verboten die Einwanderung. In der Bewegung brach
eine Krise aus, und Pinsker bezweifelte, dass Eretz Israel jemals die Loesung
fuer die bedraengten Juden werden werde.
Sein Pessimismus liess ihn andere Moeglichkeiten, wie die Ansiedlung in
Argentinien, pruefen. Kurz vor seinem Tod las er Lilienblum einen soeben
beendeten Artikel vor, in dem er seine Befuerchtung ausdrueckte, Eretz Israel
werde fuer das juedische Volk nur ein spirituelles Zentrum sein.
Der Artikel wurde niemals veroeffentlicht.
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Updated: 11/12/00