Jehuda Amichai (1924-2000)
"In den Vereinigten Staaten muss man viele Meilen fahren, um ein Schlachtfeld
zu sehen; aber Israel ist ein kleines Land und
alles liegt nah bei einander. Ich kann auf
meinem Balkon stehen und meinen Kindern
erzaehlen: Dort wurde ich zum ersten Mal
beschossen. Und dort drueben, rechts, unter
diesen Baeumen, dort wurde ich zum ersten Mal
gekuesst."
(Jehuda Amichai in einem Interview 1994)
Amichai wurde in Wuerzburg, Deutschland, als Sohn einer religioesen Familie
geboren und emigrierte 1935 nach Eretz Israel, wo er kurze Zeit in Petach Tikwah
lebte, bevor er nach Jerusalem uebersiedelte. Im Zweiten Weltkrieg kaempfte er
in der Juedischen Brigade der britischen Armee, 1946 schloss er sich dem Palmach
an. Im Unabhaengigkeitskrieg kaempfte er in der Negev, an der suedlichen Front.
Nach dem Krieg besuchte Amichai die Hebraeische Universitaet, studierte
Bibelwissenschaften und hebraeische Literatur, um danach an Hoeheren Schulen zu
unterrichten.
1946, zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Unabhaengigkeitskrieg, zahlte
ich zwei Shilling und aenderte meinen Namen in Amichai (Mein Volk lebt). Dieser
Name, der keine Uebersetzung meines frueheren Namens ist, bedeutet das Gefuehl
eines gemeinsamen Schicksals und enthuellt die Stimmung - Zionismus und
Sozialismus im besten und wahrhaftigsten Wortsinn."
Amichais erster Gedichtband „Achschaw UweJamim HaAcherim" („Jetzt und in den
anderen Tagen") wurde 1955 veroeffentlicht und von Lesern und Kritikern
interessiert aufgenommen. Amichai engagiert sich inhaltlich und sprachlich fuer
ausgesprochen moderne literarische Unternehmungen. Themen, die bis zu diesem
Zeitpunkt der Prosa vorbehalten waren, wurden ploetzlich poetische Bilder:
Panzer, Flugzeuge, Benzin; administrative und technologische Terminolgie nehmen
in seinem Werk Gestalt an und reflektieren Amichais Ansicht, eine moderne
Dichtung muesse sich mit zeitgenoessischen Themen auseinandersetzen.
Gleichbedeutend mit seiner nicht traditionellen Themenauswahl, ist Amichais
innovativer Gebrauch des Hebraeischen. ("Das Hebraeische kann sich sogar
erlauben, auslaendische Einfluesse und Ausdruecke zu absorbieren.")
Der Gedichtband "Jetzt und in den anderen Tagen" fuehrte zur Etablierung der
"Tel Aviver Schule", einer Gruppe junger Schriftsteller, die bestrebt war, die
Formalismen des klassischen Hebraeisch zu erschuettern.
Amichai benutzt verschiedene Sprachebenen, vom klassischen Hebraeisch bis zur
postmodernen Umgangssprache, und wurde so als „der Dichter, der mit den Worten
spielt" bekannt. Beeinflusst von Witz und Ironie der modernen englischen
Dichtung, ist Amichai auch ein Meister der „Untertreibung", praegte neue
Redewendungen und Slangausdruecke und verwob Prosasaetze in seiner Lyrik. Auch
seine linguistische Gewandtheit reflektiert seine Anschauung, dass auch die
poetische Sprache nicht nur von den klassischen Texten, sondern auch von der
modernen technologischen Gesellschaft beeinflusst wird. Die Begruendung fuer die
Verleihung des Israel Preises an Amichai 1982 weist auf die revolutionaere
Aenderung der Sprache der Dichtung hin, die durch sein Werk eingeleitet wurde.
Amichais Dichtung spannt einen weiten Bogen, vom Lachen zum Weinen bis zur
Selbstverspottung. Sein Werk betont das individuelle „Wer", das die Welt
letztlich mit eigenen Augen betrachtet, aber trotzdem bewusster und wesentlicher
Bestandteil der kollektiven Erfahrung bleibt. Diese persoenliche Perspektive
zeigt eine offene und ehrliche Annaeherung an die aeussere Welt.
Amichai hielt aus zwei Gruenden Distanz zur "Tel Aviver Schule": einerseits
konnte er sich nicht vorstellen, nicht mit seinem geliebten Jerusalem verbunden
zu sein; und andererseits: so radikal seine Annaeherung auch sein mochte, es war
ihm nicht leicht, seine Liebe zur Bibel und zu den grossen Dichtern des
Mittelalters zu verleugnen.
Sein Gedicht fuer eine Frau drehte die Tradition Jehuda HaLevis, des grossen
juedischen Dichters im Spanien des 11. Jahrhunderts, um. HaLevi benutzte
erotische Bilder, um seine Liebe zu Gott und seine Sehnsucht nach Zion
auszudruecken. Amichai klagte mit den selben Bildern den israelisch-arabischen
Konflikt an.
"Dein Koerper ist weiss wie der Sand, in dem noch keine Kinder spielten.
Deine Augen sind traurig und schoen wie die Blumenbilder in Textbuechern. Dein
Haar haengt herunter wie der Rauch von Kains Altar: Ich muss meinen Bruder
toeten. Mein Bruder muss mich toeten.
Ein anderes seiner Gedichte, "Vom Menschen wurdest du geschaffen, zum
Menschen kehrst du zurueck", wurde waehrend der Zerstoerungen des Jom Kippur
Krieges geschrieben. Es erinnert an das Gebet, in dem die Unvermeidbarkeit des
Todes mit "Staub zu Staub" umschrieben wird. Das Gedicht beschreibt Eltern, die
den Laerm hoeren, den ihr Soldatensohn in der Frueh macht, um an die Front
zurueckzukehren. Sie akzeptieren die Aussicht, das ihr Kind einen vorzeitigen
Tod sterben wird.
Diese Erinnerungen an alte juedische Traditionen machten Amichai
international beruehmt, er wurde immer wieder fuer den Literaturnobelpreis
nominiert.
Amichai beeindruckt auch durch Quantitaet seines Werkes, viele Einzelbaende
erschienen in rascher Reihenfolge, ebenso wie die „Gesammelten Gedichte" (1963)
und die „Ausgewaehlten Werke" (1981). „Schirei Jeruschalaim" („Jerusalemer
Gedichte"), 1987, ist eine zweisprachige Ausgabe mit Photos der Stadt. Diese Art
der Gestaltung benutzte Amichai abermals 1992 fuer neue Gedichte, Szenen und
Bilder. Zusaetzlich zu seinen zahlreichen Gedichtbaenden schrieb Amichai
Kurzgeschichten, zwei Romane, Radiosketches und Kinderbuecher. Ein Grossteil
wurde in andere Sprachen uebersetzt.
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Bearbeitung: Dr. Chani Hinker
Updated: 11/12/00