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Chaim Nachman Bialik (1873-1934)
Chaim Nachman Bialik gehoert zu den groessten modernen hebraeischen Dichtern.
Als Essayist, Erzaehler, Uebersetzer und
Herausgeber uebte er tiefen Einfluss auf die
juedische Kultur aus.
Bialik wurde im Dorf Radi, in der Naehe von Schitomir in Wolhynien, geboren.
Der aus einer Gelehrtenfamilie stammende Vater war durch seine Unerfahrenheit in
geschaeftlichen Angelegenheiten verarmt. Fuer beide Elternteile war dies die
zweite Ehe. Trotz der bitteren wirtschaftlichen Umstaende, denen die Familie
ausgesetzt war, rufen einige von Bialiks besten Gedichte idealisierend die
bezaubernden Stunden zurueck, in denen Bialik als Kind in den geheimnisvollen
Schatten der Waelder spielte. Andere Gedichte erzaehlen von Einsamkeit und
elterlicher Vernachlaessigung.
Im Alter von sechs Jahren uebersiedelte Bialik mit seinen Eltern nach
Schitomir, da sie auf der Suche nach einem Lebensunterhalt waren. Der Vater
musste sich mit der Fuehrung eines Wirtshauses am Stadtrand von Schitomir
begnuegen. 1879 starb Bialiks Vater und die Witwe vertraute ihren Sohn der
Obsorge des wohlhabenden vaeterlichen Grossvaters an. Zehn Jahre lang wurde das
begabte, aber schlimme, Kind Chaim Nachman von einem strengen und frommen alten
Mann erzogen. Zuerst unterrichtete man ihn im traditionellen Cheder, aber ab
seinem 13. Lebensjahr fuehrte er seine Studien allein weiter.
Durch einen Zeitungsartikel ueber die Jeschiwa im litauischen Woloschin
ueberzeugt, diese Schule werde ihm eine Einfuehrung in die humanistischen
Wissenschaften gemeinsam mit einer Weiterfuehrung seiner Talmudstudien
garantieren, ueberredete Bialik seinen Grossvater, ihm den Besuch zu erlauben.
Tatsaechlich bot ihm der Lehrplan der Jeschiwa nur die Beschaeftigung des
talmudischen Unterrichts. Schliesslich triumphierten moderne Zweifel ueber
traditionelle Sicherheiten. Bialik zog sich von dieser Schule zurueck und lebte
in der Welt der Poesie, las russische Verse und europaeische Literatur. Noch als
Jeschiwaschueler schloss sich Bialik der geheimen orthodoxen zionistischen
Studentenorganisation Nezach Israel an, die versuchte, den juedischen
Nationalgedanken und die Aufklaerung mit dem Festhalten an der Tradition zu
vermischen. In dieser Zeit war Bialik durch die Lehren von Achad Ha Ams
spirituellem Zionismus beeinflusst.
Im Sommer 1891 verliess Bialik die Jeschiwa und ging nach Odessa, dem Zentrum
der modernen juedischen Kultur in Suedrussland. Der literarische Kreis, der sich
um Achad Ha Am gesammelt hatte, zog ihn an, und Bialik hegte den Traum, in
Odessa werde er faehig sein, sich auf den Eintritt in das moderne orthodoxe
Rabbinerseminar von Berlin vorzubereiten. Ohne Geld und allein, verdiente er
eine zeitlang seinen Lebensunterhalt als Hebraeischlehrer, waehrend er seine
Studien der russischen Literatur und deutschen Grammatik fortsetzte. Anfangs
gelang es dem scheuen jungen Mann nicht, in das literarische Leben der Stadt
involviert zu werden, aber sein erstes Gedicht, in dem er seine Sehnsucht nach
Zion ausdrueckt, wurde von den Kritikern wohlwollend aufgenommen.
Ich weiss, dass es richtig war, nach Odessa zu kommen. Ihre Ermutigung
bedeutet alles fuer mich", schrieb Bialik an Achad Ha Am. "Sie waren sehr
freundlich zu mir. Ich bin geschmeichelt, dass Sie die Veroeffentlichung eines
meiner Gedichte arrangiert haben."
Als Bialik 1892 erfuhr, dass die Jeschiwa von Woloschin geschlossen worden
war, beendete er seinen Aufenthalt in der Gesellschaft der Schriftsteller von
Odessa und eilte nach Hause, um seinem sterbenden Grossvater die Nachricht zu
ersparen, der Enkel habe seine religioesen Studien aufgegeben. Als er nach Hause
zurueckkehrte, fand er auch seinen aelteren Bruder auf dem Totenbett. Die
Atmosphaere zu Hause symbolisierte fuer ihn die Verzweiflung und das Elend
juedischen Lebens in der Diaspora.
1893, nach dem Tod des Grossvaters und des aelteren Bruders, heiratete Bialik
Mania Averbuch. Waehrend der naechsten drei Jahre arbeitete er im Holzgeschaeft
des Schwiegervaters in Korostyschew, nahe Kiew. Die langen und einsamen
Aufenthalte in den Waeldern nutzte er zur Lektuere. Bialik scheiterte im
Holzgeschaeft und fand 1897 eine Anstellung als Lehrer in Sosnowiec, in der
Naehe der preussischen Grenze. Aber die Enge des provinziellen Lebens verdross
ihn. 1900 gelang es ihm schliesslich, eine Lehrerstelle in Odessa zu finden, wo
er bis 1921 lebte, unterbrochen durch einen einjaehrigen Aufenthalt in Warschau,
1904, wo er eine hebraeische Zeitung herausgab. Gemeinsam mit drei anderen
Schriftstellern gruendete er das Moriah Verlagshaus, das Buecher fuer die
moderne juedische Schule publizierte. In diesen Jahren wuchs Bialiks Ruf, und
als 1901 sein erster Gedichtband erschien, wurde er als „Dichter der nationalen
Wiedergeburt" gepriesen.
1903 schockten die Pogrome von Kischinew die zivilisierte Welt. Nachdem
Bialik mit einigen Ueberlebenden des Massakers gesprochen hatte, schrieb er das
Gedicht „Al haSchechitah" („Auf der Schlachtbank"), in dem er den Himmel
aufruft, entweder sofort Gerechtigkeit zu ueben oder die Welt zu zerstoeren,
denn Vergeltung allein ist nicht genug.
Verflucht sei der, der sagt "Rache!" Vergeltung fuer das Blut
eines kleinen Kindes Hat sich Satan noch nicht ausgedacht.
1904 entstand das Gedicht „Be Ir
HaHaregah" („In der Stadt des Schlachtens"),
in dem Bialik die laue Verurteilung des
Massakers anprangert. Er ist erbittert wegen der
fehlenden Gerechtigkeit und erschlagen durch die
Gleichgueltigkeit der Natur:
„Die Sonne schien, die Akazien bluehten, und die Schlaechter
schlachteten."
1921 gehoerte Bialik zu einer Gruppe hebraeischer Schriftsteller, die auf
Intervention Maxim Gorkis die Sowjetunion verlassen durften. Nach drei Berliner
und Hamburger Jahren uebersiedelte Bialik 1924 nach Tel Aviv, wo er den Rest
seines Lebens verbrachte.
"Krankheitszeichen", schrieb Bialik kurz vor seinem Tod, "wurden
kuerzlich entdeckt, vor allem in der Haltung unseren Bruedern gegenueber, die
dem Schwert entkamen - das Desaster in Deutschland und in anderen Laendern."
Chaim Nachman Bialik starb 1934 in Wien und wurde in Tel Aviv neben Achad Ha
Am begraben. Das Bialik Haus ist heute ein Museum, dessen Bibliothek aus
dreissigtausend Buechern besteht.
Chaim Nachman Bialik ist der grosse Dichter der hebraeischen Renaissance. Er
besingt den Geist des Judentums und er ist in den ersten dreissig Jahren des
Zwanzigsten Jahrhunderts der ungekroente Koenig der Hebraeischen Sprache. Seine
abwechselnd milden und zornigen Verse spiegeln nicht nur das Unglueck der Juden
wider, sondern versuchen die innersten juedischen Entscheidungen und Ressourcen
zu staerken. Bialik gibt der Sorge der Juden Ausdruck, ein Produkt der grausamen
und hasserfuellten Umwelt zu sein. Er beschreibt die Verzweiflung ueber eine
Welt, in der die Jueden fuer immer verdammt sind, und den Schmerz ueber die
Heimatlosigkeit einer edlen und antiken Kultur. Bialiks Nationalismus ist keine
Selbstberuehmung. In seinem "Lied des Zorns" erscheint er als der
Kritiker des Konfliktes des modernen Juden. Bialik beschreibt die Berauschtheit
durch die Schoenheit der Natur und die Sehnsucht nach einer schwer fassbaren
Ruhe des Geistes. Er bespricht die moderne juedische Melancholie, die in ihrem
Leid nicht faehig ist, in Schoenheit und Lebensfreude einzutauchen.
Weitere wichtige Gedichte Bialiks sind: "Ha Matmid" - "Der
Talmudschueler", "Metei Midbar" - "Der Tod der Wildniss", "Megillat Ha Esch" -
"Die Feuerrolle". Viele seiner Gedichte wurden vertont und sind immer noch
sehr bekannt, vor allem seine Kindergedichte.
Bialik war auch ein Erzieher. Mit seinem Freund Jehoschua Hana Rawnitzky gab
er 1908 bis 1911 eine eindrucksvolle Anthologie rabbinischer Legenden heraus:
"Sefer Ha Aggadah" - "Buch der Legenden", ein Standardtext in
israelischen Schulen. Bialik war in der Oeffentlichkeit sehr engagiert und
bereiste die ganze Welt in hebraeischen und zionistischen Angelegenheiten. In
seinen spaeteren Jahren wuchs seine positive Haltung dem Judentum gegenueber und
er wurde der Begruender des populaeren Oneg Schabbat, einem Studienprogramm am
Schabbat.
Bialik schrieb Kurzgeschichten, Essays und uebersetzte Cervantes "Don
Quichote" und Schillers "Wilhelm Tell" ins Hebraeische. Bialik
verfuegte ueber eine vollstaendige Kenntnis des Hebraeischen und war in der
Lage, die Moeglichkeiten dieser Sprache voll auszuschoepfen. Er nahm das
Hebraeische des modernen Israel vorweg und beeinflusste es in einem hohen Mass.
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Bearbeitung: Dr. Chani Hinker
Updated: 11/12/00
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