Martin Buber (1878-1965)
Wenn ich an das deutsche Volk der Tage von Auschwitz und Treblinka denke,
sehe ich zunaechst die sehr vielen, die wussten,
dass das Ungeheure geschah, und sich nicht
auflehnten; aber mein der Schwaeche des Menschen
kundiges Herz, weigert sich, meinen Naechsten
deswegen zu verdammen, weil er es nicht ueber
sich vermocht hat, Maertyrer zu werden. Sodann
taucht vor mir die Menge all derer auf, denen
das der deutschen Oeffentlichkeit Vorenthaltene
unbekannt blieb, die aber auch nichts
unternahmen, um zu erfahren, welche Wirklichkeit
den umlaufenden Geruechten entsprach; wenn ich
diese Menge im Sinn habe, ueberkommt mich der
Gedanke an die mir ebenfalls wohlbekannte Angst
der menschlichen Kreatur vor einer Wahrheit, der
sie nicht standzuhalten koennen fuerchtet.
Zuletzt aber erscheinen die mir aus
zuverlaessigen Berichten an Abgesicht, Haltung
und Stimme wie Freunde vertraut Gewordenen, die
sich weigerten, den Befehl auszufuehren oder
weiterzugeben und den Tod erlitten, oder die
erfuhren, was geschah, und weil sie nichts
dawider unternehmen konnten, sich den Tod gaben.
Ich sehe diese Menschen ganz nah vor mir, in
jener besonderen Intimitaet, die uns zuweilen
mit Toten, und mit ihnen allein, verbindet; und
nun herrscht in meinem Herzen die Ehrfurcht und
die Liebe zu diesen deutschen Menschen.
(Aus Martin Bubers Vortrag "Das echte Gespraech und die Moeglichkeiten des
Friedens" anlaesslich der Verleihung des
Friedenpreises des Deutschen Buchhandels, 1953.)
Der Philosoph, Theologe und zionistische Denker Martin Buber wurde in Wien
geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Lemberg bei seinem Grossvater Salomon
Buber, dem beruehmten Midraschgelehrten.
Buber studierte an den Universitaeten Wien, Leipzig, Zuerich und Berlin.
1898 trat er der Zionistischen Bewegung bei und 1899 war er Delegierter des
Dritten Zionistischen Kongresses.
1901 wurde er Chefredakteur der zionistischen Zeitung "Die Welt". Als er
sich am Fuenften Kongress der Demokratischen Fraktion anschloss, die sich gegen
Herzl wandte, trat er von seiner Position zurueck. Buber gruendete in Berlin den
Juedischen Verlag.
Im Alter von 26 Jahren begann Buber mit dem Studium des Chassidismus.
Nachdem er versucht hatte, die Geschichten des Rabbi Nachman ins Deutsche zu
uebersetzen, entschied er sich, sie frei nachzuerzaehlen. Daraus entstanden 1906
"Die Geschichten des Rabbi Nachman" und 1908 "Die Legende des Baalschem". Buber
war von der religioesen Botschaft des Chassidismus tief bewegt und betrachtete
es als seine Pflicht, diese Botschaft der Welt zu vermitteln.
"Von Israel-ben-Elieser wird erzaehlt: Einmal war der Sinn des Baalschem
so gesunken, dass es ihm schien, er koenne keinen Anteil an der kommenden Welt
haben. Da sprach er zu sich: Wenn ich Gott liebe, was brauche ich da eine
kommende Welt?"
Ab 1909 setzte Buber seine oeffentlichen Aktivitaeten fort. Beim Ausbruch des
Ersten Weltkrieges gruendete er in Berlin das Juedische Nationalkomitee, eine
Hilfsorganisation fuer Ostjuden und fuer den Jischw.
1916 gruendete er die Monatszeitschrift "Der Jude", die acht Jahre lang eine
der fuehrenden juedischen Zeitschriften Mitteleuropas darstellte. Buber
definierte seine Position als zionistisch-sozialistisch und betonte seine
Affinitaet zur Philosophie A. D. Gordons. Er lehnte das herkoemmliche
sozialistische Konzept ab, das auf den Staat blickte und nicht auf das Leben und
die Beziehung zwischen Menschen, die fuer ihn das Mittel zur Realisierung der
sozialistischen Gesellschaft war. In den Nachkriegsjahren wurde Buber der
Sprecher des "hebraeischen Humanismus" und beschrieb Zionismus als "den heiligen
Weg". Buber betonte auch, die Beduerfnisse der Araber zu beachten und ein
gemeinsames Heimatland zu entwickeln.
1925 erschien sein Werk "Ich und Du", die Basis seiner Philosophie des
Dialogs. Der Ausgangspunkt von Bubers Philosophie ist die Beziehung zwischen dem
Menschen und der Welt. Fuer ihn existieren zwei grundlegende Beziehungsformen,
die"Ich - Du" und die „Ich -Es", in die alle menschlichen Beziehungen, ob
zwischen Menschen oder zu Dingen, eingeteilt werden koennen. Die „Ich - Du"
Beziehung ist unter anderem durch Offenheit und Direktheit charakterisiert; in
der „Ich - Es" Beziehung fehlen diese Qualitaeten. In der „Ich - Du" Beziehung
sprechen beide Partner miteinander als Gleiche; in der „Ich -Es" Beziehung
benutzt ein Partner den anderen, um ein gewisses Ziel zu erreichen. Die „Ich -
Du" Beziehung fuehrt zur Erkenntnis, dass G"tt das Ewige Du ist, und zur
Beschreibung der Beziehung zwischen Mensch und G"tt als „Ich - Du". In dem
posthum erschienenen, aber noch von Buber zusammengestellten Band "Nachlese"
findet sich der Text einer Danksagung, die der Achtigjaehrige aufgeschrieben
hat. Nachdem er von der Neigung, "nach oben" zu danken, gesprochen hat, faehrt
Buber fort: "Sodann aber verlangt es einen Mal um Mal, seinem Mitmenschen zu
danken, selbst wenn er nichts Besonderes fuer einen getan hat. Wofuer denn?
Dafuer, dass er mir, wenn er mir begegnete, wirklich begegnet ist; dass er die
Augen auftat und mich mit keinem andern verwechselte; dass er die Ohren auftat
und zuverlaessig vernahm, was ich ihm zu sagen hatte; ja, dass er das auftat,
was ich recht eigentlich anredete, das wohlverschlossene Herz."
Dies ist die Quintessenz von Bubers Philosophie, das "wohlverschlossene
Herz" in ungeteilter Zuwendung anzureden und bezeugen, dass dies moeglich
sei.
1925 erschienen die ersten Baende der deutschen Uebersetzung der Bibel, eine
gemeinsame Leistung von Martin Buber und Franz Rosenzweig. 1936 setzte Buber mit
"Die Schrift und ihre Verdeutschung" die Prinzipien ihrer Uebersetzungsarbeit
fort: der heutige Leser der Bibel hat aufgehoert, ein Zuhoerer zu sein; aber die
Bibel sucht keinen Leser, sondern einen Zuhoerer, zu dem sie spricht. In ihrer
Wortwahl, in den Satzstrukturen und im Rhythmus versuchte Buber den originalen
Charakter der hebraeischen Bibel zu bewahren.
("Am Anfang schuf G"tt den Himmel und die Erde. Die Erde aber war Irrsal
und Wirrsal. Finsternis ueber Urwirbels Antlitz. Braus G"ttes schwingend ueber
dem Antlitz der Wasser. G"tt sprach: Licht werde! Licht ward. Gott sah das
Licht: dass es gut ist. G"tt schied zwischen dem Licht und der Finsternis. G"tt
rief dem Licht: Tag! und der Finsternis rief er: Nacht! Abend ward und Morgen
ward: Ein Tag.")
1925 begann Buber auch, an der Universitaet Frankfurt Vorlesungen ueber
juedische Religion und Ethik zu halten. 1930 wurde er Professor fuer Religion,
eine Position, die er bis 1933, dem Jahr der Machtergreifung der
Nationalsozialisten, innehatte. 1932 erschien "Das Koenigtum G"ttes", der erste
Band einer Reihe, die sich mit den Urspruengen des messianischen Glaubens im
Judentum beschaeftigt.
1933 wurde Martin Buber zum Leiter der Mittelstelle fuer juedische
Erwachsenenbildung ernannt. Diese Institution kuemmerte sich um die Erziehung
der Juden, nachdem sie von den deutschen Erziehungseinrichtungen abgeschnitten
worden waren. Im selben Jahr wurde er auch Direktor des Juedischen Lehrhauses in
Frankfurt. Buber reiste durch Deutschland, hielt Vortraege, lehrte, ermutigte
seine juedischen Brueder und Schwestern und bewirkte so etwas wie geistigen
Widerstand. In der "Juedischen Rundschau schreibt Buber am 1. April 1933:
"Das erste, dessen der deutsche Jude in dieser Probe bedarf, ist eine neue
Rangordnung der persoenlich existenziellen Werte, die ihn befaehigt, der
Situation und ihren Wechselfaellen standzuhalten. ... Wenn wir unser Selbst
wahren, kann nichts uns enteignen. Wenn wir unserer Berufung treu sind, kann
nichts uns entrechten. Wenn wir mit Ursprung und Ziel verbunden bleiben, kann
nichts uns entwurzeln, und keine Gewalt der Welt vermag den zu knechten, der in
der echten Dienstbarkeit die echte Seelenfreiheit gewonnen hat."
1935 wurde ihm verboten, bei juedischen Versammlungen zu sprechen.
1938 ging Buber nach Palaestina und wurde Professor fuer Sozialphilosophie an
der Hebraeischen Universitaet, wo er bis zu seiner Emeritierung, 1951, lehrte.
1942 erschien sein erstes hebraeisch geschriebenes Buch: "Der Glaube der
Propheten". Auch in "Moses" (1946) versuchte Buber, die Bedeutung der Bibel zu
durchdringen.
Auch in seinen spaeten Jahren blieb Buber in der Oeffentlichkeit aktiv. Er
war ein Fuehrer von "Ichud", dem frueheren "Brith Schalom", einer Bewegung, die
einen gemeinsamen juedisch-arabischen Staat befuerwortete. Auch nach dem
Ausbruch des Unabhaengigkeitskrieges rief Buber zu einer Kompromissloesung auf.
Er erkannte die Wichtigkeit der kulturellen Assimilation der Neueinwanderer,
besonders aus islamischen Laendern. Buber gehoerte zu den Gruendern einer
Lehrerbildungsanstalt fuer neue Immigranten. Er war der erste Praesident der
Israelischen Akademie der Wissenschaften und ein Gruender der Bialik
Gesellschaft.
Nach dem Zweiten Weltkrieg reiste er fuer Vortraege ins Ausland, besuchte
1952 erstmals die USA und wurde weltweit als einer der spirituellen Fuehrer
seiner Generation bekannt, der auf Juden wie Christen tiefen Einfluss ausuebte.
[Top] [Persoenlichkeiten]
[Das
Jahrhundert des Zionismus] [Homepage]
The
Pedagogic Center
Direktor: Dr. Motti Friedman
Web Site Manager:
Esther Carciente,
esthers@jajz-ed.org.il
Bearbeitung: Dr. Chani Hinker
Updated: 11/12/00