Schmuel Josef Agnon (1888-1970)
Agnon war der erste hebraeisch schreibende Schriftsteller, der mit dem
Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Er ist eine Zentralfigur der modernen
hebraeischen Literatur. Sein Werk beschaeftigt sich mit dem Konflikt zwischen juedischer
Tradition und moderner
Welt und versucht, die schwindende Atmosphaere des osteuropaeischen Stetls einzufangen.
Schmuel Josef Czaczkes, wie Agnons urspruenglicher Name lautete, wurde im Stetl
Buczacz, in Galizien geboren. Sein Vater war Pelzkaufmann und Anhaenger des chassidischen
Rabbis von Chortkow. Agnon besuchte keine Schule, wurde aber von seinem Vater unterrichtet,
der ihn die Aggadah lehrte, und von seiner Mutter, durch die er die deutsche Literatur
kennenlernte. Als er acht Jahre alt war, begann er hebraeisch und jiddisch zu schreiben
und mit fuenfzehn veroeffentlichte er sein erstes jiddisches Gedicht. In der Folgezeit
wurde er regelmaessig gedruckt, und innerhalb von drei Jahren entstanden siebzig Werke
in hebraeischer und jiddischer Sprache. Als junger Mann verliess Agnon das Stetl und
wanderte in Palaestina ein, wo er fuer kurze Zeit den traditionellen juedischen Lebensstil
aufgab. Bald kehrte er
aber wieder zur Religion zurueck und blieb den Rest seines Lebens ein frommer Jude.
Seine erste Kurzgeschichte Agunot" (Verlassene Frauen") erschien 1908 in Palaestina
unter dem Pseudonym Agnon". Dieser Name
hatte Aehnlichkeit mit dem Titel der Geschichte und wurde sein offizieller Familienname.
"Agunot legte den Grundstein fuer Agnons Reputation.
1913 verliess Agnon Eretz Israel und ging fuer elf Jahre nach Deutschland.
Den jungen Zionisten gefiel die Kombination von Tradition und Moderne in Agnons Werk.
In Deutschland traf Agnon den reichen Geschaeftsmann Salman Schocken, der sein Bewunderer,
und Verleger wurde. Ohne finanzielle Sorgen, lebte Agnon komfortabel, schrieb viel und
sammelte seltene, wertvolle hebraeische Buecher. Diese glueckliche Zeit endete 1924 als in
seinem Haus in Bad Homburg ein Feuer ausbrach und 4000 seiner hebraeischen
Buecher und alle seine Manuskripte zerstoerte.
Agnon war ueberzeugt, er sei schon zu lange im Exil gewesen: "Gott gab mir die
Weisheit, nach Jerusalem zurueckzukehren", sagte er in seiner Nobelpreisrede. "Ich kehrte nach
Jerusalem zurueck und kraft Jerusalem habe ich alles geschrieben, das mir Gott in mein Herz und in meine
Feder gelegt hat."
In Jerusalem mietete Agnon ein Haus in Talpiot. Es lag jedoch einsam und wurde waehrend des
arabischen Aufstandes von 1929 angegriffen und gepluendert. Agnon fluechtete mit den wertvollsten Buechern und
seinen Manuskripten. Tausende Buecher wurden zerstoert oder beschaedigt.
Agnon beschloss jedoch, in Talpiot zu bleiben und
bezog 1931 sein neues Haus in der Klausnerstr. Nr. 16., das im Unabhaengigkeitskrieg 1948
ebenfalls teilweise zerstoert und gepluendert wurde.
1931 wurde er als eine zentrale Persoenlichkeit der modernen hebraeischen Literatur
erkannt, als er die erste Ausgabe seiner Gesammelten Werke veroeffentlichte, darunter den
Schelmenroman Die Versorgung der Braut", der als Meilenstein der hebraeischen Literatur
gilt. In seinen Geschichten kehrt der Konflikt zwischen Alt und Neu immer wieder, viele
Erzaehlungen wirken wie ein Alptraum und lassen den Leser zwischen Realitaet und Phantasie
zurueck. Seine Charaktere fuehren Selbstgespraeche, um sich selbst besser zu verstehen und
erstaunen ihre Umgebung. In Nur wie ein Gast zur Nacht" besucht ein anonymer Erzaehler nach
Jahren der Abwesenheit seine Stadt in Galizien und wird Zeuge ihrer Verwuestung.
Der wahre Kern dieser Geschichte ist Agnons eigener Besuch in seiner Geburtsstadt
Buczacz im Jahr 1930. Obwohl der Roman die Hoffnungslosigkeit und den Niedergang
der juedischen Gemeinden nach dem Ersten Weltkrieg widerspiegelt,
nannte Agnon bereits in seiner Jugend Buczacz eine Stadt der Toten". Agnon ist der Bewahrer
der Tradition. In "Nur wie ein Gast zur Nacht" nimmt der Agnon-gleiche Protagonist den
Schluessel des Beit Midrasch nach Eretz Israel, "um dort zu warten bis der Messias kommt und alle
Lehrhaeuser wiedererrichtet werden." Agnon ist sich bewusst, dass er der "Bewahrer des
Schluessels" ist. Durch seine Dichtung bewahrt er die Sprache der Lehrhaeuser. Er sah seine
Rolle als Schriftsteller als eine geheiligte.
Und doch ist er nicht pathetisch, sondern ironisch und distanziert.
Als Agnons bestes Werk gilt der Roman Gestern, Vorgestern", eine kraftvolle
Beschreibung Palaestinas in den Tagen der Zweiten Alijah. Der Geist der Erzaehlung
reflektiert jedoch seine Entstehungszeit, die Jahre der Schoa.
In Ergaenzung zu seinem Werk schrieb Agnon jedes Jahr ein halbes
Dutzend kleiner Stuecke, von denen die meisten in der hebraeischen Zeitung HaAretz
erschienen.
Viele seine Buecher handeln von Buczacz, andere sind volkstuemliche Sammlungen
rabbinischer und chassidischer Geschichten. Eine dieser
Anthologien, Tage der Ehrfurcht", ist ein Schatz von Traditionen, Legenden und gelehrten
Kommentaren ueber Rosh HaShana und Jom Kippur, zusammengetragen aus 300 alten und neuen
Baenden. Eine andere Sammlung und der Roman Schira" wurden posthum publiziert.
1954 und 1958 erhielt Agnon den Israel Preis fuer Literatur. 1966 teilte er den
Literaturnobelpreis mit Nelly Sachs. "Wegen der historischen Katastrophe der Zerstoerung Jerusalems durch den
roemischen Kaiser Titus und des juedischen Exils wurde ich in Buczacz geboren und konnte nicht im
Tempel singen. Deshalb habe ich mein Lied in geschriebenes Wort verwandelt.", sagte Agnon
in seiner Nobelpreisrede.
Agnon hatte grossen Einfluss auf die juengere Generation der israelischen Schriftsteller. Er wurde
als die Verbindung zwischen der israelischen Literatur und dem Modernismus eines James Joyce oder
Franz Kafka gesehen. Seine symbolischen Formen tauchen bei Amos Oz und A. B. Jehoschua auf. Aharon Megged bemerkte ueber Agnon:
"Es gibt keinen anderen hebraeischen Schriftsteller, der Menschen in den kleinen Augenblicken
ihres Lebens besser beschreibt."
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Bearbeitung: Dr. Chani Hinker
Updated: 11/12/00